Adolfo Kaminsky. Ein Fälscherleben

Adolfo Kaminsky. Ein Fälscherleben Hot

Jan Hillgärtner   08. Januar 2012  
Adolfo Kaminsky. Ein Fälscherleben

Buch-Tipp

Anzahl Seiten
224
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Erscheinungsjahr

Rückentext

Falsche Papiere können Leben retten – Adolfo Kaminsky erzählt die politischen Konflikte des 20. Jahrhunderts aus der Sicht eines Meisterfälschers.

»Wach bleiben, so lange wie möglich. Die Müdigkeit niederringen. Die Rechnung ist einfach: In einer Stunde kann ich 30 falsche Ausweise herstellen. Wenn ich eine Stunde schlafe, sterben 30 Menschen …« 1943 beginnt Adolfo Kaminsky, für die französische Résistance gefälschte Papiere herzustellen – Ausweise, die Tausende von Juden vor Deportation und sicherem Tod bewahrten. Der siebzehnjährige Färberlehrling und geniale Autodidakt, der selbst aus einer russischstämmigen jüdischen Familie kommt, weiß damals noch nicht, dass er eine Lebensentscheidung getroffen hat. Denn auch nach dem Krieg wird Kaminsky 30 Jahre seines Lebens im Untergrund verbringen und die großen Widerstandsbewegungen des 20. Jahrhunderts mit falschen Papieren und Identitäten versorgen, immer auf der Flucht vor der Entdeckung, gehetzt von seinem Gewissen – und ohne je Geld für seine Arbeit zu nehmen. Vom Algerienkrieg und den südamerikanischen Befreiungsbewegungen bis zu den Aufständen gegen Diktatoren wie Salazar, Franco, die griechischen Obristen und der südafrikanischen Anti-Apartheidsbewegung: Kaminsky hat sie, aus Überzeugung und mit technisch immer ausgefeilteren Methoden, alle mit falschen Papieren unterstützt.

Hörspiegel-Meinung

Story/Inhalt 
 
7,0
Atmosphäre 
 
8,0
Aufmachung 
 
9,0
Gesamtwertung 
 
8,0

Eigentlich wäre er gerne Maler geworden: Die Wirren des politisierten 20. Jahrhunderts gönnten ihm jedoch nicht den Pinsel sondern die Chemikalien, Papiere, das Stempelwerkzeug und die vielen anderen Utensilien die es für einen erfolgreichen Fälscher braucht. Adolfo Kaminsky ist Jude argentinischer Herkunft und wächst in Frankreich der 20er Jahre am Vorabend des Zweiten Weltkriegs auf. Die Aufrichtigkeit gegenüber der von den Deutschen ausgenutzten Bürokratie Frankreichs nach dem Überfall scheint zunächst sein und das Schicksal seiner Familie zu bestimmen. Sie werden deportiert und können sich nur unter größten Mühen aus den Fängen der Nationalsozialisten befreien. Was danach für Kaminsky beginnen sollte hat sich zwar schon in den Tagen seiner Ausbildung abgezeichnet, eine Vorstellung von der Wichtigkeit seiner Fälschertätigkeit bekommt er aber erst im Rückblick.

Mit 17 Jahren, ausgestattet mit falschen Papieren und der Deportation gerade so entkommen, beginnt Adolfo Kaminsky seine Karriere als Fälscher. Er schlägt sich nach Paris durch und baut seine Reputation langsam durch verlässliche und selbstaufopfernde Arbeit auf. Schnell wird die Résistance auf ihn aufmerksam und Kaminsky tritt in die Dienste der französischen Widerstandsorganisation ein. Sarah Kaminsky, seine Tochter, hat in Interviewform eine Chronologie des Lebens ihres Vaters aufgeschrieben und gibt damit einen einzigartigen Einblick in die tagtägliche Arbeit eines Widerstandskämpfers, der nie eine Waffe gegen den Feind in die Hand genommen hat außer den Waffen des Fälschers. Wie Kaminsky diese Papiere herstellt, davon kann man auch in Zeiten digitaler Ausweise und Fingerabdruckkontrollen noch etwas lernen. Er wendet ein hohes Maß an Aufmerksamkeit den Kleinigkeiten zu, die Papiere erst wirklich glaubhaft machen. Mit einer Nähmaschine perforiert er das Papier. Gegen Ende des Krieges, als er französische Kämpfer ausstattet, die hinter feindlichen Linien kämpfen werden die Dimensionen deutlich, die eine erfolgreiche Fälschung ausmachen.

Es geht nicht alleine darum, ein Papier zu fälschen, zusammen mit den Kämpfern arbeitet Kaminsky an einer Geschichte, die die Soldaten im Falle einer Überprüfung vor dem Schlimmsten bewahren sollte. Die Geschichten sind die Elemente, die die Dokumente erst glaubhaft machen. Jeder Pass muss Gebrauchsspuren enthalten, die Ecken abgestoßen sein und Schriften leicht verwaschen oder unleserlich daherkommen. Die Ausweispapiere werden zu den Staffagen einer gesamten Geschichte. Zusammen mit Einkaufszetteln, abgestempelten Fahrkarten und Kinobillets werden mögliche Erzählungen im Fälscherlabor geschaffen, die über das reine Kopieren oder Verändern von Ausweisedokumenten weit herausgehen. Der typische Inhalt einer Hosentasche ist das, was Kaminsky in dieser Zeit künstlich herstellen muss.

Das Buch gibt das Bild eines Menschen wieder, der für seine Aufgabe vieles, wenn nicht sogar zu vieles aufgegeben hat. Viele haben von seinen Fälschungen profitieren können, sein näheres persönliches Umfeld muss auch darunter gelitten haben. Zwar ist sein Privatleben nicht das Thema des Buchs - Kaminsky stellt sich als weltanschaulich neutralen Weltbürger dar, der gegen jede Form politisch gewaltsamer Unterdrückung mit seinen Mitteln opponiert – welchen Preis für dieses Argument seine Familie und seine Kinder gezahlt haben müssen bleibt unklar. Allenfalls lässt sich erahnen, dass Bedürfnisse seiner heranwachsenden Kinder oftmals zurückstecken mussten, da nächtliche Fälscherarbeit und normales Familienleben nur schwerlich unter einen Hut zu bringen sind. Es bleibt letztlich der Eindruck eines prinzipientreuen Mannes, der sich im Auftrag der Menschlichkeit freiwillig an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit gebracht hat und mit seinem Einsatz zahllose Menschenleben gerettet hat. Ein Buch, das eine hochspannende Methode des gewaltsamen Widerstands in emotionaler Form darstellt.

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