The Raven That Refused To Sing (And Other Stories)

The Raven That Refused To Sing (And Other Stories) Hot

Nico Steckelberg   10. März 2013  
The Raven That Refused To Sing (And Other Stories)

Musik

Interpret/Band
Format
CD
Anzahl Medien
1

Hörspiegel-Meinung

Gesamtwertung 
 
9,0

Nachdem sich Steven Wilson mit seinem letzten Studioalbum „Grace for Drowning“ partiell dem Jazz-Genre gewidmet hat und vor allem durch seine geisterhafte Atmosphäre punkten konnte, geht das aktuellste Machwerk „The Raven That Refused To Sing“ gleich in die Vollen. Das erste Drittel des 12-Minuten-Openers „Luminol“ ist ein grooviges Prog-Rock-Stück mit wahnsinnig tollen mehrstimmigen Vocalparts und einem Drive, bei dem kein Haupthaar ungeschüttelt bleibt. Dann folgt ein Part, der typisch für Wilsons akustisch-atmosphärische Artrock-Kreativität steht. Mit wunderschönen Solo-Flöten. Der Charme der Sixties und Seventies schwingt hier mit. Das letzte Drittel des Songs kippt dann die ganze aufgesparte Melancholie mit seinen Melotron-Streicher-Arrangements auf einmal über dem Hörer aus. Kompositorisch ausgefallen, immer wieder überraschend und Wilson-typisch auf höchstem Niveau produziert. Dann der geschlossene Kreis: Die Rückkehr zum Progressive Rock des ersten Parts. Bang! Was für eine Ansage!

„Drive Home“ steht dem in nichts nach, wenngleich die Machart eine ganz andere ist. Hier scheinen Wilsons Blackfield-Songs durch. Tolle Riffs, gute Vocal-Lines und bestmögliche Instrumentierung. Wem bei diesen Streicherarrangements nicht das Herz aufgeht, der hat vermutlich keines mehr in der Brust.

„The Holy Drinker“ beweist, dass sich Wilson noch nicht so recht von den Sounds von „Grace for Drowning“ trennen konnte. Es ist ein dynamisches Stück mit zahlreichen Solopassagen, das insbesondere Live sicherlich gut ankommen wird. Allerdings nichts wirklich Neues für diejenigen, die besagten Album-Vorgänger kennen. Aber auch hier wieder die harten Prog-Rock-Passagen, die auch mal fließend in Progressive-Metal-Riffs übergehen dürfen. Und dann gibt es wiederum sehr funkige Jazz-Soloparts, die ihrerseits ins Progressive abgleiten. Und über allem schwebt Steven Wilsons sanfte, verletzliche Stimme. Ein Ohrenschmaus mit orgasmischem Ende.

„The Pin Drop“ wirkt etwas poppiger, aber auch zerbrechlicher. Die Komposition ist hier nicht ganz so stark wie bei den anderen Stücken. Interessant hier der Kontrast zwischen Vocals, Gitarre und Drums. Während Wilsons Stimme nie die Contenance verliert, gibt der Drummer hier so heftig Gas, und auch die verzerrten Gitarren gaukeln uns hier einen harten Song vor. Aber eigentlich würde „The Pin Drop“ auch als eine ruhige Ballade bestens funktionieren. Aber dann wäre der Song zu lieblich. Stattdessen lässt Wilson hier seinen Drummer ordentlich schwitzen um die gewisse Spannung in den Song zu bekommen.

„The Watchmaker“ ist ein Lied, das man anfangs auch auf einem Album von Cat Stevens, King Crimson oder Nick Drake hätte finden können. Auch hier wieder die tollen Solo-Querflöten, die unheimlich an die progressive Musik der Sechziger und Siebziger erinnert. Der Mittelpart mit seinem Piano scheint nicht so recht ins Bild zu passen, macht aber ob seiner spielerischen Beschwingtheit und den ansprechenden Akkordwechseln dennoch große Freude. Lediglich dem Ende des Songs kann ich nichts abverlangen. Ein eher uninspiriertes, aneinandergereihtes Akkord-Wirrwarr. Sowas passiert, wenn der Bogen der Progressivität überspannt wird. Sei’s drum.

Der Titeltrack des Albums steht an dessen Ende. Beginnt leise und bedrohlich mit Gesang und Piano. Es ist ein langer und stimmungsvoller Songaufbau. Man ahnt, dass hier noch etwas kommen wird. Und in der Tat, Punkt Minute Fünf setzt dann das Schlagzeug an, durchgängig zu spielen und die süßlich-melancholische Melodie in ein Rock-Balladen-Gewand zu kleiden.

Fazit: Obgleich ich kaum Musik auf diesem Album vernehmen kann, die ich von Steven Wilson nicht schon so oder so ähnlich gehört hätte, ist „The Raven That Refused To Sing“ ein hervorragendes Rock-Album. Wilson verkettet moderne Produktion mit dem Spirit vergangener Musikzeitalter. Er begegnet den verschiedenen Ausprägungen der progressiven Musik mit Respekt und lässt sie kreativ in einander übergehen. Und so haben wir hier ein Album von schillernder Intensität, das aufgeteilt in seine Bestandteile keine echten Highlights hat, aber im Ganzen ein einziges großes Highlight darstellt.

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