Gespräche mit Lebenden und Toten

Gespräche mit Lebenden und Toten           Hot

Nico Steckelberg   17. Juli 2011  
Gespräche mit Lebenden und Toten

Rückentext

Am 26. April 1986 brannte der Himmel über Tschernobyl. Offiziell kamen dabei 31 Menschen ums Leben. Die Journalistin Swetlana Alexijewitsch befragte über Jahre hinweg die Überlebenden und zeigt in literarisch verdichteten Portraits die menschliche Dimension der Tragödie: Zeitzeugen, Experten, Helfer und Opfer erzählen von Liebe, die stärker ist als Angst, vom Verlust der Familie und der Heimat, und vom Tod, der unsichtbar, unhörbar und noch nach vielen Jahren droht.

Hörspiegel-Meinung

Story/Inhalt 
 
10,0
Atmosphäre 
 
10,0
Sprecher 
 
9,0
Aufmachung 
 
5,0
Gesamtwertung 
 
8,5

Der 26. April 1986 ging als der Tag der bislang schlimmsten weltweiten Nuklearkatastrophe in die Geschichte ein. 25 Jahre vor dem Fukushima-Gau bekam die Welt zum ersten Mal einen Eindruck davon, wie umfassend die globalen ökologischen Folgen einer solchen Katastrophe sind.

Das Hörstück „Gespräche mit Lebenden und Toten“ von Swetlana Alexijewitsch rückt die unmittelbar betroffenen Menschen in den Fokus. Es geht nicht um wirtschaftliche Interessen, es geht nicht um Langzeitfolgen. Es geht darum, wie Menschen von heute auf morgen ihre Lieben verlieren. Wie sie ihr zu Hause verlassen müssen. Wie unfähig die offiziellen Stellen reagieren, wie dilettantisch Menschen unwissentlich in ihr Verderben geschickt wurden. „Aus dem Reaktor strahlte es. So schön kann der Tod sein.“

Ich habe selten ein verstörenderes Hörstück gehört. Die Geschichten sind real, und der Verstand des Hörers will sich vor dieser Vorstellung schützen. Die Grausamkeit der falschen und zu späten Entscheidungen wird aus vielen verschiedenen Sichtweisen beschrieben. Die Frau eines Feuerwehrmannes, ein Soldat, der die Haustiere erschießen soll, Ein Hilfstrupp, der verstrahlte Erde verscharrt, ein Landstreicher, der durch die unbewohnten Ruinen des verstrahlten Ortes schlendert.

Diese berührenden Schicksale stehen im krassen Gegensatz zu der nüchternen, distanzierten Sprache, in der sie wiedergegeben werden. Nicht nur textlich, sondern auch in ihrer stimmlichen Interpretation. Ilse Strambowski, Peter Gavajda, Viola Morlinghaus und Konstantin Graudus inszenieren die Aussagen der Zeitzeugen distanziert und kalt. Das steht im krassen Gegensatz zu der Emotionalität, die zwangsläufig bei zu Empathie neigenden Hörern entsteht.

Zwischen den Monologen sind leise Geräusche vernehmbar. Geräusche einer Geisterstadt? Es ist jedenfalls enorm bedrückend.

Das Hörspiel stammt aus dem Jahr 1998 und wurde auf Grund der Fukushima-Katastrophe vom Hörverlag wiederveröffentlicht. Und das ist auch gut so, denn nach dem Hören dieses Hörstückes, wird vermutlich mancher Konsument seine Einstellung zur Atompolitik neu überdenken. Es sind die Fühlbar gemachten Folgen eines für uns weit entfernten, abstrakten Vorfalls.

Sehr hörenswert!

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