Loreley           Hot

Nico Steckelberg   03. Oktober 2012  
Loreley

Rückentext

Auf einer Klippe hoch über dem Rhein ruft ein Mädchen aus einem vergitterten Brunnenschacht. Noch ahnt Ailis, die beim Burgschmied in die Lehre geht, nichts von dem dunklen Geheimnis der Gefangenen. Doch dann geraten Menschen in den Bann des Teufels in Kindsgestalt, und der magische Lockruf der Loreley droht, das Land ins Verderben zu reißen. Nur Ailis kann die Gefahr noch abwenden. Ihr Weg führt sie in das rätselhafte Reich des Spielmannszaubers ...

Hörspiegel-Meinung

Story/Inhalt 
 
10,0
Atmosphäre 
 
10,0
Sprecher 
 
9,0
Soundtrack 
 
10,0
Aufmachung 
 
10,0
Gesamtwertung 
 
9,8

Irgendwo habe ich einmal in einem Hörspielforum gelesen, dass man gewiss demnächst auch noch Kai Meyers Telefonbuch zu einem Hörspiel machen wird. Dieser Scherz ist der Tatsache geschuldet, dass wohl kaum ein anderer zeitgenössischer deutschsprachiger Autor außerhalb des Jugendserien-Genres so viele Hörspieladaptionen verzeichnen darf wie Kai Meyer.

Diesmal hat sich Hörspielmacher Marco Göllner („Goldagengården“, „Dorian Hunter“) Meyers Roman „Loreley“ vorgenommen. Der Roman erschien erstmals 1998 unter dem Pseudonym „Alexander Nix“ und handelt – anders als der Titel vermuten lässt – nicht von der romantischen Erzählung Clemens Brentanos, wie Kai Meyer bereits im Vorwort klarstellt. Vielmehr geht Meyer zurück auf die alten Mythen und Sagen, die den Loreleyfelsen (oder Lurlinberg ) seit jeher umgeben. Im Kern, so Meyer, sei Loreley eine Horror-Geschichte vor historischem Hintergrund. Und genau das wird deutlich, wenn man sich das Cover des Hörspiels anschaut. Es erinnert viel eher an „The Ring“ oder andere Grusel-Filme denn an die historischen oder romantisch-fantastisch anmutenden Buchcover, die die unterschiedlichen Ausgaben des Romans zieren.

„Loreley“ hat jedoch mehr Ebenen als die historische und die gruselige. Es geht um Freundschaft, Familie, Abschied, Abenteuer, Okkultismus und – mal auf sehr subtile, mal auf plakative Art – um Sex. Natürlich fehlen die für Kai Meyer obligatorischen Elemente der Phantastik nicht.

Musik und Geräusche sind sehr wichtig für die Geschichte, weil der Gehörsinn der Protagonistin Ailis eine zentrale Rolle spielt. So wie Jean-Baptiste Grenouille in Patrick Süskinds „Das Parfum“ jeden Geruch analysieren und wahrnehmen kann, hat Ailis das absolute Gehör. Und damit spielt Marco Göllner auch in seinem Skript. Oftmals bauen sich Hintergrundatmos Schicht für Schicht auf, brechen Geräusche abrupt ab oder entwickeln sich Melodien hinter der eigentlichen Melodie. Auch für die akustische Umsetzung der so genannten „Spielmannswege“ oder des tödlichen Gesangs gebührt Göllner ein besonderes Lob.

Um eines vorweg zu nehmen: Ich möchte nicht voreingenommen erscheinen. Ein Teil der Hörspielmusik stammt von ELANE, einer Musikgruppe, in der ich selbst spiele. Ich habe Marco Göllner unser Album „Arcane“ ans Herz gelegt, das sich ausschließlich mit Kai-Meyer-Themen befasst. Sehr glücklich und auch stolz war ich, dass er sich für einige unserer Stücke entschieden hat, um den Soundtrack zu Loreley zu vervollständigen. Zusammen mit Joran Elane am Gesang entstand zusätzlich der Hörspiel-Song „River deep and Mountain high“. Am liebsten wäre mir also, dass ich den Soundtrack wegen der Gefahr der Befangenheit gar nicht bewerte. Aber: Dann bräuchte ich das Hörspiel nicht zu besprechen. Denn die Musik ist ein tragendes atmosphärisches Element dieser Produktion. Deshalb schließe ich bewusst bei der späteren Bewertung den Teil der Musik aus, bei dem ich selbst „die Finger im Spiel“ hatte. Stattdessen möchte ich viel lieber die authentische mittelalterliche Musik von Ralf Kleemann und weiteren Musikern würdigen, die sich ganz wundervoll in das Soundbild einfügt. Man fühlt sich buchstäblich in die Geschichte und die Zeit hineingezogen, in der sie spielt.

Die Sprecherauswahl ist mutig, weil hier mal nicht die typischen Hollywood-Stimmen verpflichtet wurden, sondern frische, unverbrauchte Sprecher. In der Hauptrolle Julia Kapfelsperger als Ailis, an deren Stimme ich mich – ich gebe es zu – zunächst gewöhnen musste. Aber sie sticht heraus und hat einen hohen Wiedererkennungswert. Shandra Schadt als Fee klingt dann schon etwas mehr nach „Hollywoodmädchen“, aber kann ihre Stimme passend zur Rolle wandeln. Denn das „Good Girl“ wird zunehmend „bad“. Eine richtig gute Besetzung ist Andreas Schmidt als Spielmann „Langer Jammrich“. Das passt wie die Faust aufs Auge. Super! Geradezu begeistern konnte mich Gertie Honeck als Erzählerin. Ihr Stimmeinsatz ist stets zurückhalten, intim, warm. Eine erhabene Erzählerin, die der Geschichte stets eine gewisse Erdung verleiht, selbst in den eher fantastischen oder grausamen Szenen. Man kennt sie als die deutsche Synchronstimme von „Captain Janeway“ aus „Star Trek: Voyager“. Auch der Schmied Erland hat eine passende Stimme erhalten: Schauspieler Wolfram Mucha lebt diese Rolle grandios – alt, väterlich, irgendwie vertraut. Johannes Steck ist ebenfalls zu hören, angenehm zurückhaltend, auf seine Rolle konzentriert. Der eigentliche Star aber ist die sechsjährige Lilli Martha König, die die Stimme des kindlichen Echos im Brunnenschacht so bedrohlich spricht, dass man dieses Hörspiel tunlichst nicht abends vor dem Einschlafen hören sollte. Großartig!

Ich freue mich schon jetzt auf die nächste Zusammenarbeit zwischen Göllner und Meyer. Noch gibt es einige unvertonte Romane, bevor dann doch noch Meyers Telefonbuch herhalten muss.

Fazit: Hier passt einfach alles. Von der Geschichte über die Sprecher bis hin zum Score und den Geräuschen. Das DigiPak beinhaltet ein 12-seitiges Booklet mit einem Vorwort von Kai Meyer und interessanten Informationen zu Sprechern und Machern. Und lassen Sie sich bitte nicht vom Preis abschrecken. Die 4 CDs sind die knapp 30 EUR mehr als wert. „Loreley“ sollte jeder gehört haben, der Hörspiele mag.

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